Auf dem diesjährigen DRG-Forum in Berlin bestand weitgehende Einigkeit, dass das DRG-System einer umfassenden Reformierung bedarf. An sinnvollen Vorschlägen mangelt es nicht, etwa der Einführung einer sektorübergreifenden Vergütung mittels Hybrid-DRGs oder einer stärkeren Berücksichtigung der Vorhaltekosten bei der Krankenhausfinanzierung. Gleichwohl zeigten sich einige Referenten skeptisch, da Veränderungen in der Vergangenheit teils nur mäßig erfolgreich waren. Man denke beispielsweise an die Pflegekostenausgliederung, welche viele Kliniken bislang eher belastet als unterstützt. [1]
Wenn nun weitere tiefgreifende Veränderungen am Vergütungssystem der Krankenhäuser vorgenommen werden sollen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Dabei geht es um die Frage, welche Veränderungen im stationären Leistungsgeschehen sich seit der Einführung des DRG-Systems vor gut zwei Jahrzehnten eingestellt haben.
Konnten DRGs die stationäre Verweildauer reduzieren?
Eines der zentralen Ziele der Einführung von Fallpauschalen in Deutschland war die Verkürzung der durchschnittlichen Verweildauer im Krankenhaus. Da für jeden Behandlungsfall eine pauschale Vergütung erfolgt, besteht ein Anreiz für eine möglichst kurzen Aufenthalt, so die Annahme. Tatsächlich lässt sich nach Einführung der DRGs ein solcher Effekt in verschiedenen Bereichen beobachten. So zeigen Feess et al. (2019), dass nach Ablösung der tagesgleichen Pflegesätze insbesondere ältere Patienten (> 65 Jahre) früher entlassen wurden. Kleinere Krankenhäuser konnten dabei ihre Verweildauern stärker reduzieren als größere Einrichtungen. [2]
Abbildung 1 legt nahe, dass diese Effekte auch auf Systemebene eingetreten sind, da sich seit 2003 die durchschnittliche stationäre Verweildauer kontinuierlich reduziert hat. Allerdings begann diese Entwicklung schon lange vor Einführung des DRG-Systems. Eine aktuelle Untersuchung von Messerle und Schreyögg (2022) konnte keine Hinweise finden, dass die beobachtbaren Verweildauerverkürzungen nach 2003 auf das neue Vergütungssystem zurückführbar sind. [4]
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in anderen Ländern. In dem mit dem deutschen eng verwandten Vergütungssystem der Schweiz kamen Busato und Below (2010) zu dem Ergebnis, dass der Rückgang der durchschnittlichen Verweildauer nur bedingt auf die Einführung des DRG-Systems zurückführbar sei. [5] Nimmt die Ambulantisierung weiter Fahrt auf, könnte in Deutschland zukünftig sogar ein Wiederanstieg der Verweildauer zu beobachten sein, da die durchschnittliche Fallschwere der stationären Fälle zunehmen wird.
Hat das DRG-System zu höheren Fallzahlen geführt?
Darüber hinaus besteht durch die Fallpauschalen der Anreiz, möglichst viele Fälle zu erbringen, sofern der Deckungsbeitrag positiv ist. Aktuelle Studienergebnisse deuten darauf hin, dass mit der Einführung des DRG-Systems in Deutschland tatsächlich eine Mengenausweitung im stationären Bereich stattgefunden hat. So beobachten Messerle und Schreyögg (2022) ein jährliches Wachstum des Leistungsgeschehens um 2 Prozent, das direkt auf das DRG-System und nicht auf andere Effekte (demographische Entwicklung, medizinisch-technischer Fortschritt etc.) zurückzuführen ist. Dies entspricht etwa einem Anstieg der Krankenhauskosten um mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr. [4]
Diese Entwicklungen werden durch die bestehenden Strukturen begünstigt. So hat Deutschland im Vergleich zu anderen OECD Ländern deutlich höhere Bettenkapazitäten. Je 100.000 Einwohner standen hierzulande im vergangenen Jahr 791 Betten bereit. Die Niederlande oder Italien benötigen lediglich 308 bzw. 295 Betten zur Versorgung der gleichen Einwohnerzahl. [6] Da vorhandene Kapazitäten häufig auch genutzt werden („a hospital bed built is a filled bed“ [7]) besteht die Gefahr, dass in bestimmten Leistungsbereichen ein Anreiz zur Fallzahlsteigerung über das notwendige Maß hinaus entstanden ist. [8]
Kann das Vergütungssystem verbessert werden?
Eine Reformierung des stationären Vergütungssystems muss über eine reine Symptomkorrektur hinausgehen und an den Ursachen ansetzen. Hierzu gehört unter anderem, die starke Koppelung von Leistungsmenge und Vergütung zu entschärfen und sich vermehrt am regionalen Versorgungsbedarf sowie der Qualität der erbrachten Leistungen zu orientieren. Auch hat die Corona Pandemie noch einmal verdeutlicht, dass ein weiterer Anstieg der Fallzahlen in Zukunft kaum realistisch ist. Wobei diese Entwicklung sich schon seit 2016 abzuzeichnen begann (siehe Abbildung 2).
Häufig diskutiert wird derzeit eine Dreigliederung der Vergütungsstruktur. Diese beinhaltet eine leistungsmengenunabhängige Grundfinanzierung der Vorhaltekosten in Abhängigkeit der Versorgungsstufe, eine leistungsmengenabhängige Komponente wie im aktuellen DRG-System, sowie einer Qualitätskomponente, die die Behandlungsqualität je Fall berücksichtigt. [9] Mitzudenken ist auch die Frage, welche Fälle tatsächlich im Krankenhaus behandelt werden sollen. Ein erster Schritt in Richtung einer sektorenübergreifenden Versorgung könnten Hybrid-DRGs sein, die Leistungen unabhängig, ob ambulant oder stationär durchgeführt, in gleicher Höhe vergüten.
Wann mit Veränderungen gerechnet werden kann, ist aktuell leider kaum verlässlich zu beantworten, da der Gesetzgeber noch stark mit der Pandemiebewältigung beschäftigt ist. Auch eine umfassende Anschubfinanzierung für die neuen Vergütungsstrukturen seitens der Krankenkassen ist durch deren sich zunehmend verschlechternden Finanzlage unwahrscheinlich.
Fazit
Festzuhalten bleibt, dass das DRG-System in den letzten knapp 20 Jahren nicht alle Versprechen einlösen konnte. Zu den positiven Entwicklungen zählen etwa der Anreiz zu mehr Effizienz und eine höhere Transparenz der Leistungserbringung. Gleichzeitig hat die DRG-Einführung die Verweildauerverkürzung nicht weiter beschleunigt. Die Leistungsmenge hingegen ist gestiegen, in einigen Bereichen vermutlich über das notwendige Maß hinaus. Veränderungsbedarfe bei der stationären Vergütung sind somit vorhanden, Entwicklungen in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung von Qualität und Vorhaltekosten wünschenswert. Dass derartig weitreichende Reformen noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht oder gar umgesetzt werden, ist jedoch zunehmend unwahrscheinlich.
Literaturverzeichnis
[1] | M. Heumann und J. Kühn, „Entgeltverhandlungen 2022: Die große Ratlosigkeit“, f&w, Nr. 3, S. 251-255, 2022. |
[2] | E. Feess, H. Müller und A. Wohlschlegl, „Reimbursement schemes for hospitals: the impact“, Applied Economics, Bd. 51, Nr. 15, S. 1647-1665, 2019. |
[3] | Statistisches Bundesamt (Destatis), „Gesundheit. Grunddaten der Krankenhäuser,“ Wiesbaden, 2022. |
[4] | R. Messerle und J. Schreyögg, „System-wide Effects of Hospital Payment Scheme Reforms: The German Introduction of Diagnosis-Related Groups“, Hamburg Center for Health Economics, Hamburg, 2022. |
[5] | A. Busato und G. von Below, „The implementation of DRG-based hospital reimbursement in Switzerland: A population-based perspective“, Health Research Policy and Systems, Bd. 8, Nr. 31, 2010. |
[6] | OECD, „Health at a Glance 2021: OECD Indicators“, OECD Publishing, Paris, 2021. |
[7] | M. Shain und M. I. Roemer, „Hospital costs relate to the supply of beds“, Modern Hospital, Bd. 92, Nr. 4, S. 71-73, 1959. |
[8] | R. Milstein und J. Schreyögg, „Empirische Evidenz zu den Wirkungen der Einführung des G-DRG-Systems“, in Krankenhaus-Report 2020, J. Klauber, M. Geraedts, J. Friedrich, J. Wasem und A. Beivers, Hrsg., Springer, Berlin, Heidelberg, 2020. |
[9] | KU Podcast, „Finanzierung im KU Podcast mit Herrn Dr. Florian Kaiser“, 2022. [Online]. Verfügbar: https://ku-gesundheitsmanagement.de/aktuelle-folge/. [Zugriff am 30.03.2022]. |