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Erfolgreiche medizinische Flächenversorgung

Wie unterschiedlich sie auch sind – alle Kommunen Bayerns sind von den massiven Verwerfungen im Gesundheitswesen betroffen. 90 von 96 Kreisen bzw. kreisfreien Städten sind direkt Träger eines Krankenhauses, zwei weitere zumindest mittelbar beteiligt.

18. Dezember 2023

Erfolgreiche medizinische Flächenversorgung

Jochen Baierlein

, Prof. Dr. Andreas Schmid

Wie unterschiedlich sie auch sind – alle Kommunen Bayerns sind von den massiven Verwerfungen im Gesundheitswesen betroffen. 90 von 96 Kreisen bzw. kreisfreien Städten sind direkt Träger eines Krankenhauses, zwei weitere zumindest mittelbar beteiligt. Dies bedeutet, dass nahezu jeder, der in einer Kommune in der Verantwortung steht, mit sich gravierend verändernden Rahmenbedingungen und hohen finanziellen Risiken und Belastungen konfrontiert ist.

Denn egal wie man zu den politischen Entscheidungen in Berlin steht – die eigentlichen Treiber des Wandels sind andere: Die Medizin wird immer leistungsfähiger, stellt aber auch immer höhere Anforderungen an die Infrastruktur, an die Verfügbarkeit verschiedenster Spezialisten und umfassend qualifiziertes Personal. Zugleich stehen wir erst am Beginn eines sich noch deutlich verschärfenden Fachkräftemangels: Auf zwei Personen, die das Renteneintrittsalter erreichen, kommt eine, die einen Beruf ergreifen kann.

Die Demographie wird unseren Handlungsraum in den nächsten Jahren prägen.

Hinzu kommt, dass sowohl bei den Krankenkassen (auch bedingt durch die zunehmende Zahl an Rentnern, die geringere Beiträge zahlen als Erwerbstätige) als auch beim Bund (schwache Konjunktur, beginnende Tilgung der Sondervermögen) die finanziellen Reserven aufgebraucht sind.

Blog Erfolgreiche med Flächenversorgung - Bevölkerungsstruktur nach Alter

In Bayern finden wir neben der hohen Dichte kommunaler Krankenhäuser eine weitere Besonderheit vor: 54 % aller Krankenhäuser in Bayern haben weniger als 150 Betten. Zugleich sind die Betten im Durchschnitt nur zu 60 bis 70 % ausgelastet. 100 belegte Betten sind nach den Maßstäben der modernen Medizin (abseits von Fachkliniken) aber nicht mehr ausreichend, um gute Medizin wirtschaftlich erfolgreich gestalten zu können.

Sie können regelmäßig auch die Mindestanforderungen an eine für die Notfallversorgung notwendige Infrastruktur (beispielsweise zur Versorgung von Schlaganfällen oder Herzinfarkten) nicht mehr erfüllen. Das heißt, die Notaufnahmen vieler dieser Häuser haben bereits heute das Problem, dass sie die gravierenden Notfälle nicht mehr adäquat versorgen können. Dafür werden immer mehr Bagatellverletzungen und -erkrankungen versorgt, die eigentlich nicht die teure Infrastruktur eines Krankenhauses erfordern.

Eine hochwertige Notfallversorgung ist essentiell

In der Wahrnehmung der Bevölkerung ist dies jedoch häufig noch anders. Sie nimmt an, dass für eine gute Versorgung im Notfall das Krankenhaus vor Ort die beste Lösung darstellt, während sie zugleich bei planbaren Eingriffen in größere und spezialisierte Einrichtungen ausweichen. Dabei ist es hier viel wichtiger (und häufig nicht weniger herausfordernd), Strukturen im Rettungsdienst zu schaffen, die es erlauben, Patientinnen und Patienten in kürzester Zeit zu erreichen und in die nächstgelegene, geeignete Einrichtung zu verbringen. Die flächendeckende Versorgung mit diesen hierfür geeigneten Einrichtungen muss sichergestellt werden.

Blog Erfolgreiche medizinische Flächenversorgung - Notfallversorgung

Es kann also durchaus sein, dass in einer Region ein kleiner Standort deutlich ausgebaut werden muss, um die Notfallversorgung abbilden zu können, während zugleich zwei kleinere Standorte geschlossen oder für ein anderes Versorgungsangebot umgebaut werden müssen.

Der Handlungsspielraum vieler kommunaler Krankenhausträger ist mittlerweile aber deutlich eingeschränkt. Sie haben in der Vergangenheit viele Investitionen getätigt und Defizite ausgeglichen. Doch die Kreisumlage drückt, die Kassen sind leer, die Finanzaufsicht droht. Während andere kommunale Pflichtaufgaben nur noch mühsam und häufig nicht mehr zufriedenstellend gestemmt werden können, fließen hohe Beträge in das Krankenhaus vor Ort. Und nach aktuellem Stand werden die Defizite der Krankenhäuser in Deutschland mittelfristig Bestand haben – die Krankenhausreform wird hinsichtlich neuer Vergütungsansätze (Vorhaltevergütung) frühstens 2027 beginnen zu greifen, ein Vorschaltgesetz zu Defizitreduktion ist nicht in Sicht. Dafür steigen die Strukturanforderungen und treiben die Kosten weiter nach oben.

Abzuwarten ist keine Option.

Jeder Träger muss sich heute kritisch hinterfragen, was er in den nächsten zehn Jahren finanziell leisten kann und will und welche Zukunftsaussichten sein Krankenhaus – losgelöst von der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit – überhaupt hat. Und auch wenn die Kommunen den Sicherstellungsauftrag für die stationäre Versorgung haben, bedeutet dies nicht, dass es hierzu in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt ein Krankenhaus braucht. Entsprechend ist die Frage noch zu erweitern: Wie wird die medizinische Versorgung in der Fläche zukünftig (vielleicht auch ohne stationäre Kapazitäten) im eigenen Landkreis bzw. kreisfreien Stadt aussehen? Die Medizin sollte dort sein, wo sie gebraucht wird, was nicht zwingend mit dem Ort eines Krankenhauses zusammenfallen muss. „Digital vor ambulant vor stationär“ ist ein geflügeltes, wenn auch nicht immer trivial umzusetzendes Paradigma, das auf diesen Sachverhalt abzielt.

Im Bereich der stationären Versorgung wird die Einführung von Leistungsgruppen mit Strukturvoraussetzungen und die Ausweitung der Hybrid-DRG bisherige Abwärtsbewegungen noch weiter beschleunigen. Es braucht eine nüchterne Analyse des Status quo sowie möglicher Entwicklungspfade sowohl in medizinischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Zentrale Leitfragen für die weitere Entwicklung
  • Wie ist es heute um die Notfallversorgung in der Region tatsächlich bestellt? Kann in allen relevanten Bereichen eine leitlinienkonforme Versorgung erfolgen?
  • Welche Bereiche des Krankenhauses sind medizinisch langfristig zu halten, welche werden die Anforderungen nicht mehr erfüllen?
  • Wo steht das Haus wirtschaftlich? Mit welchen anderen kommunalen Aufgaben stehen mögliche Zuschüsse in Konkurrenz?
  • Welche Entwicklungsoptionen gibt es für das Krankenhaus (Standort stärken und ausbauen, Standort wirtschaftlich sanieren, Standort umwandeln in alternative Leistungsangebote, …)
  • Wie schaut die ambulante Versorgung heute und morgen aus, welche Rolle spielt das Krankenhaus darin?
  • Kann die Notfallversorgung (evtl. sogar besser als im Status quo?) auch ohne das Krankenhaus dargestellt werden? Welche Änderungen im Rettungsdienst wären ggf. erforderlich, welche Angebote in der überbrückenden Erstversorgung wünschenswert?
  • Aus welchen Bausteinen kann eine zukunftssichere, ambulant-stationäre Versorgung zusammengestellt werden und wie kann die Umsetzung erfolgen?
  • Usw.
Drei Aspekte erscheinen jedoch von besonderer Bedeutung:
  1. Der Werkzeugkasten unterschiedlicher Maßnahmen und Instrumente, neue Versorgungsstrukturen zu gestalten, hat sich in den letzten Jahren massiv erweitert und wird mit jeder Reform größer.
    So sollen nun Sektorenübergreifende Versorger / Level 1i-Häuser aus Krankenhäusern heraus entstehen können, die weiterhin eine kleine bettenführende Einheit vorhalten, aber sonst primär ambulante Aufgaben wahrnehmen. Gesundheitsregion, Gesundheitskioske und Lotsensysteme sind weitere Stichworte, hinter denen sich mögliche Lösungsoptionen verbergen. Es ist tiefes fachliches Know-how erforderlich, um hier eine seriöse Bewertung der für die Region spezifischen Chancen und Limitationen vornehmen zu können.
  2. Eine professionelle Kommunikation ist mindestens ebenso wichtig wie die fachlich richtige Entscheidung.
    Wenn diese nicht vermittelt wird, die Bevölkerung und lokale Stakeholder nicht mitgenommen werden, scheitern regelmäßig sinnvollste Initiativen bzw. werden so lange verzögert, dass sich das kleine Zeitfenster, in dem noch selbst gestaltend eingegriffen hätte werden können, schließt. Die Kommunikation muss beide Welten beherrschen: Die Kommunikation in die Breite, aber auch das inhaltliche Verständnis der Zusammenhänge mitbringen, um keine falschen Erwartungen zu schüren oder unbegründete Ängste zu befördern.
  3. Aus Sicht der Kommune will es gut überlegt sein, welche Rolle sie bei der Gestaltung der Versorgungsstrukturen einnehmen kann und will. Hierzu gehört die realistische Betrachtung, in welchem Umfang Kompetenzen aber auch zeitliche Ressourcen vorhanden sind, sich in die Themen einzubringen. Die Komplexität des Gesundheitssystems ist in seiner Breite selbst von Experten kaum zu überblicken, zu unterschiedlich sind stationäre und ambulante Leistungserbringung reguliert, zu heterogen sind die rechtlichen Vorgaben. Zugleich ist der Durchgriff für die Kommune extrem limitiert, vieles wird von der Selbstverwaltung oder anderen Akteuren entschieden und die Kommune kann nur Bitten und Wünsche formulieren. Aber auch die möglichen politischen Konfliktlinien sind deren viele. Nicht immer ist es sinnvoll, auch in der Umsetzung in erster Reihe zu stehen – manchmal können es andere einfach besser, manchmal gibt es schlichtweg keine wirklich gute Option.
Also nur Pessimismus allenthalben? Ganz sicher nicht!

Die nächsten Jahre werden zweifelsohne fordernd und viele harte Entscheidungen werden zu treffen sein. Man darf aber nicht vergessen, dass ein Grund für diesen Wandel die vielen neuen Möglichkeiten sind, die uns die Medizin heute bietet, die aber noch gar nicht absehbar waren, als sich die heute vorhandenen Strukturen geformt haben. Es gibt durchaus die berechtigte Hoffnung, dass wir auch künftig immer besser medizinisch versorgt werden. Was sich aber ändern wird, sind die Strukturen, in denen die Medizin erbracht wird. Auch die Selbstverantwortung der Bevölkerung und der Patientinnen und Patienten wird dabei eine Rolle spielen, die neue Verteilung von Verantwortlichkeiten zwischen verschiedenen Gesundheitsberufen und die Nutzung neuer technologischer Möglichkeiten.

Die Voraussetzung hierfür ist es jedoch, aktiv zu werden.

Das Zeitfenster, die Zukunft zumindest in weiten Teilen aktiv gestalten zu können, ist begrenzt. Ist ein Krankenhaus erst einmal nahe an oder bereits in der Insolvenz, ist der Handlungsspielraum extrem limitiert. Eine Domino-Effekt setzt sich in Gang, da Personal kaum noch zu gewinnen ist, die Reputation – egal ob berechtigt oder nicht – Schaden nimmt. Kommunen sind entsprechend gerade auch im Sinne der Bevölkerung in der Pflicht, alle Eventualitäten frühzeitig zu durchdenken. Auch ein kurzfristig unbequemer Weg kann langfristig der richtige sein. Sehr häufig wird die Analyse auch zeigen, dass der Krankenhausstandort tatsächlich unabdingbar ist und nur die Ausrichtung auf die aktuellen Gegebenheiten anzupassen ist.

Empfehlungen für eine weiterführende Lektüre

Zur Transformation von Krankenhausstandorten: Broschüre der Rhön Stiftung für lokale Entscheidungsträger

Zu Intersektoralen Gesundheitszentren, den Ideengebern für die nun im KHVVG angedachten Sektorenübergreifenden Versorger: Zwei Gutachten im Auftrag der KBV

Zu Primärversorgungszentren: Broschüre der Robert Bosch Stiftung

Anmerkung

Dieser Artikel erschien in der Publikation Landkreistag KOMPAKT, Ausgabe Nr. 5/2023.
Jochen Baierlein hat auf der 54. Landrätetagung am 11.10.2023 einen Vortrag zum Thema „Erfolgreiche medizinische Flächenversorgung“ gehalten. Dies ist der detaillierte Artikel dazu.

Jochen Baierlein Landrätetagung Lindau 11.10.2023
Jochen Baierlein auf der Landrätetagung Lindau 11.10.2023
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